Wie sehen Patientenfürsprache und Zusammenarbeit aus?
Wir von ECPO sind stolz darauf, die hervorragende Arbeit unserer Kollegen und Vertreter aus Deutschland mit ihren jeweiligen Organisationen und ihren bemerkenswerten Kampf für Menschen, die mit Adipositas leben, zu teilen.
Die Bühne bereiten - Vor einigen Jahren sah die Erstattungslandschaft für Adipositastherapien in Deutschland wie folgt aus:
Multimodale interdisziplinäre Therapien, wie sie in den medizinischen Leitlinien für Adipositas empfohlen werden, wurden von den Krankenkassen nicht übernommen.
Die Kostenerstattung für medizinische Behandlungen zur Gewichtsregulierung war gesetzlich verboten.
Bariatrische Operationen könnten zwar erstattet werden, aber da die Krankenhäuser nicht mit den Krankenversicherungen streiten wollten, forderten sie die Patienten auf, eine Vorabgenehmigung ihrer Versicherung einzuholen.
Patientengruppen konzentrierten sich auf das Wohlbefinden der Patienten und versuchten, innerhalb des Gesundheitssystems Wege zu finden, um eine gewisse Behandlung und Pflege zu erhalten. Die Patienten beschwerten sich, aber nichts änderte sich wirklich.
Schneller Vorlauf...
Die Erstattungssituation ist immer noch weitgehend dieselbe, aber die landesweiten Patientenorganisationen haben sich in den letzten Jahren verändert. Anstatt nur Optionen für Patienten innerhalb des Systems aufzuzeigen, versuchten sie, das System zu verändern; aus Zuschauern wurden Akteure.
Die Akteure hier sind
- Adipositas Verband Deutschland (AVD)
- Adipositaschirurgie Selbsthilfe Deutschland (AcSDeV)
- AdipositasHilfe Deutschland (AHD)
- Gemeinsam sind sie Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Adipositas (BAG).
Der Name mag aus der Ferne langweilig klingen, aber in Wirklichkeit bedeutet die Zusammenarbeit, dass sich drei unabhängige landesweite Patientenorganisationen zusammengeschlossen haben, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen: das Leben von Menschen, die mit Fettleibigkeit leben, zu verbessern!

Am 3. Juli 2020 gewann die BAG ihr erstes Spiel:
Der Deutsche Bundestag hat eine Nationale Diabetesstrategie verabschiedet, in der eindeutig festgestellt wird, dass Fettleibigkeit eine der Hauptursachen für Diabetes ist und eine eigenständige Krankheit darstellt.
Werfen wir einen genaueren Blick auf die Reise, die zu diesem Ergebnis führte...

Mai 2018Bei der großen Adipositas-Veranstaltung des AcSDeV in Frankfurt waren alle drei Patientenorganisationen vertreten. Dietrich Monstadt, Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied des Ausschusses für Gesundheit, der für Diabetes und Adipositas zuständig ist, war zusammen mit Melanie Bahlke und Christel Moll zu einer Plenardiskussion eingeladen. Man kann nur vermuten, dass er ziemlich beeindruckt war von einem Raum voller 300 Patienten, die mit Adipositas leben und ihr Recht auf Behandlung und Kostenerstattung geltend machen.
Dreihundert Wähler, dreihundert Patienten, eine Stimme.
Am Ende dieses Tages beschlossen alle drei Organisationen, gemeinsam die von Michael Wirtz gestartete Petition zu unterstützen, in der die Kostenerstattung für multimodale Adipositastherapien gefordert wird. Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft schloss sich dem an.
Diese erste gemeinsame Aktion war der Beginn der Zusammenarbeit als BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Adipositas)

November 2018Auf einer Adipositas-Konferenz trafen sich Delegationen aus mehreren Ländern, jeweils mit einer Mischung aus Berufsgruppen, Ärzten, Krankenkassen, Politikern und nicht zuletzt Patienten. Sie trafen sich, um ein Adipositas-Politik-Engagement-Netzwerk zu bilden. Alexander Krauß, Mitglied des Deutschen Bundestages, und Melanie Bahlke, Vertreterin der Patientenstimme, waren Teil der deutschen Delegation. Nicht nur über Zahlen, Risikofaktoren und Komorbiditäten zu sprechen, sondern vielmehr mit einem Patienten zu arbeiten, zu sprechen und zu leben, zu verstehen, was es bedeutet, mit Adipositas zu leben, hat einen grundlegenden Unterschied gemacht.
Am Ende der Konferenz erklärte die deutsche Delegation ihr Ziel, eine Allianz zur Bekämpfung der Adipositas in Deutschland zu gründen - die Deutsche Adipositas Allianz war geboren, eine umfassende Allianz, die die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Ärzten, Krankenversicherern, Industrie, Politikern und Patienten fördert.

September 2019Eine gemischte Delegation traf sich mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages in den Räumlichkeiten des Deutschen Bundestages. Alexander Krauß hatte zu der Veranstaltung eingeladen und drei weitere Bundestagsabgeordnete nahmen an dem Treffen teil. Wissenschaftler erläuterten die Ursachen der Adipositas und Therapiemöglichkeiten, ein Wirtschaftswissenschaftler präsentierte eine grobe Berechnung der finanziellen Auswirkungen einer Nichtbehandlung der Adipositas und Patientenvertreterin Melanie Bahlke, Michael Wirtz, Marion Rung-Friebe und Andreas HerdtEr hat aus erster Hand erfahren, wie es ist, mit Fettleibigkeit zu leben.
Neben diesen großen Veranstaltungen gab es verschiedene Gelegenheiten für Patientenvertreter wie Melanie, Marion und Michael, Steffy, KatjaChristel, Petra oder Andreas und viele andere im Hintergrund, um Politiker zu treffen und mit ihnen zu sprechen.
Niemand kann sagen, welche dieser Gelegenheiten wie viel ausgemacht hat. Aber am Ende spielt das keine Rolle.
Wenn es eine Lektion zu lernen gibt, dann die, dass Patientenfürsprache ist ein Mannschaftssport.
Ein Team von Patientenvertretern, die das gleiche Lied singen, vielleicht in einer etwas anderen Tonlage, kann einen Chor bilden, der gehört wird. Und die Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Wissenschaft, Versicherungen, Industrie und Politik wird uns noch stärker machen.
Davon abgesehen - noch einmal schnell vorwärts...
Am 3. Juli 2020 stand der Antrag zur Nationalen Diabetesstrategie im Deutschen Bundestag zur Debatte. Mehrere der Politiker, die sich zu Wort meldeten, hatten bei den oben genannten Veranstaltungen Kontakt zu Patienten gehabt.
Um eines hervorzuheben: Alexander Krauß hielt eine recht bemerkenswerte Rede.
Er erwähnte nicht nur, dass Adipositas weitaus häufiger vorkommt als Diabetes, sondern er wies auch darauf hin, dass mit dieser Genehmigung ein Meilenstein erreicht ist: Adipositas wird vom deutschen Parlament als Krankheit anerkannt. Außerdem wies er darauf hin, dass Menschen, die mit Adipositas leben, eine angemessene Behandlung verdienen und nicht nur Ratschläge wie "Weniger essen und mehr bewegen". Er erklärte, dass sie anstelle von Spott Hilfe verdienen. Abschließend wandte sich Krauß an die Kolleginnen und Kollegen im Parlament: "Wenn auch Sie ihnen helfen wollen, dann stimmen Sie bitte unserem Antrag zu".
"Der heutige Tag ist ein wichtiger Meilenstein für Menschen, die mit Adipositas leben - die Anerkennung ihrer Krankheit durch den Deutschen Bundestag. Menschen mit Adipositas werden (derzeit) nicht adäquat behandelt - wenn ein Patient mit Adipositas zum Arzt geht, reicht es nicht aus, ihm zu sagen, er solle weniger essen und sich mehr bewegen - das ist keine adäquate Behandlung. Es mangelt an professioneller ambulanter Betreuung, es mangelt an Aufklärungsprogrammen, es mangelt aber auch an Mitgefühl für die Betroffenen und an Informationen über diese Krankheit. Das Einzige, was Menschen mit Adipositas in Hülle und Fülle erfahren, ist Hohn und Spott........ Wir brauchen ein Adipositas-Management durch Fach- und Hausärzte in der ambulanten Praxis", so Alexander Krauß.
Der Antrag wurde mit der Mehrheit der amtierenden Regierung angenommen.
Keine der gegnerischen Parteien stimmte dagegen.
Was nun?
Dies ist ein Meilenstein. Aber wir haben es mit einem Marathon zu tun und nicht mit einem Sprint, und wir haben noch viele Kilometer vor uns.
Dieser Antrag ist der Beginn eines Umdenkens. Er wird den Weg für die Erstattung aller wirksamen Therapien ebnen, die in den medizinischen Leitlinien für Adipositas definiert sind.
Sie wird Türen öffnen, um mehr Mittel für Forschungs- und Bildungseinrichtungen bereitzustellen, damit die Ursachen der Fettleibigkeit besser verstanden, bessere Therapien entwickelt und das Wissen an die Praktiker vor Ort weitergegeben werden kann.
Der Teufel steckt jedoch im Detail, und deshalb werden die deutschen Adipositas-Patientenorganisationen die Fortschritte genau beobachten, sich so weit wie möglich beteiligen und die deutsche Regierung rechtzeitig an den Antrag erinnern, an den sie gebunden ist.
Also, nachdem eine Flasche Champagner geöffnet und geleert wurde ... das Spiel geht weiter ...
Wir danken Andreas Herdt für die Mitteilung dieser Nachricht im Namen der BAG.